Freies Produzieren in Film und Theater

Producing Performing Arts Aus dem Maschinenraum der freien darstellenden Künste Eine Publikation des Bündnisses internationaler Produktionshäuser Alexander Verlag (2022)

Freies Produzieren in Film und Theater

So richtig frei produziert haben wir in den neunziger Jahren. Wir kamen jung aus der DDR Subkultur und es folgten Jahre in einer sehr kreativen und von Neugier und Aufbruchsgeist geprägten Zeit. Aus dem Nichts entstanden Galerien, besetzte Häuser wurden in Kunst- und Theaterräume verwandelt, plötzlich gab es Stiftungen und Ministerien, die Geld unkompliziert in riskante Projekte steckten und selbst Rückschläge nahm man im Prozess der Transformation als Bestandteil derselben in Kauf.
Wenn Kunst ein gesellschaftlicher Akt konzeptioneller Verschwendung wäre, so gibt es in unserer subjektiven Erinnerung keine Zeit in der auf beiden Seiten (der Geldgeber und Empfänger) damit freier und anarchischer umgegangen wurde.
Natürlich endete diese Zeit und mit Arbeitsschutz und Hygienekonzept kam auch Ordnung und Struktur in die freie Kunstproduktion des Ostens, denn diese Erinnerung bezieht sich allein auf den Osten Deutschlands. Die langsame Institutionalisierung begann, mit allen Vor- und Nachteilen die dies für die Freie Kunst hat. Es gab mehr Geld und sichere Finanzierungshorizonte, bessere Technik, bessere Planbarkeit aber impulsive Kunst wurde seltener, mit den Sanierungen verschwanden die Narben der Zeit, das Improvisieren wurde abgelöst von professionellen Abläufen, es gab weniger freie Mitarbeiter aber mehr Angestellte und damit Rentenbescheide und gesicherte Familienplanungen.
In der freien Szene durchmischten sich die Produktionsmechanismen. Es gab Koproduktionen und Finanzierungsmodelle mit Schauspielhäusern. Freie Gruppen /Regisseure inszenierten frei aber auch an staatlichen Schauspielhäusern mit den entsprechenden Ensembles und freie Theaterleiter wurden Intendanten an staatlichen Häusern. Große Stiftungen prägten mit ihrer Finanzierung entscheidend den Bedeutungsaufstieg der freien Theater und setzten mit thematischen Programmen auch inhaltliche Schwerpunkte. Die für einen Ort konzipierten Einzelproduktionen wurden weniger, gastspielfähig zu produzieren das Gebot der Stunde. Es entstanden eine Vielzahl an Festivals und Formaten und die Produktionshäuser arbeiteten verstärkt mit Kuratoren die zwischen Künstlern/Produzenten, Inhalten, den Produktionshäusern und den Finanzierungsquellen eine wichtige Rolle einnahmen.
Diese ganzen Setzungen veränderten auch die Art des freien Produzierens.

In unseren Theaterarbeiten standen vor Probenbeginn das Team und die Schauspieler fest, es gab grundlegende Ideen zu Bühne und Kostüm, Absprachen wurden getroffen und der finanzielle Rahmen festgelegt. Erst während des eigentlichen Probenprozesses wurde es konkret und Proben und Produzieren ein paralleler Prozess. So waren innerhalb mehrerer Wochen flexibles Reagieren und Veränderungen jederzeit möglich. Ganze bereits umgesetzte Ideen konnten verworfen werden, alles war offen und beweglich. Man arbeitete auf einen Tag in der Ferne hin: Deadline war die Premiere.

Der Prozess beim Film hat einen anderen Rhythmus, das Erfinden und Proben verlagert sich komplett auf die Monate vor dem eigentlichen Dreh und der Kreis der daran Beteiligten ist kleiner. Dreht man wie wir klassisch nach Drehbuch ist alles detailliert durchgeplant. Der Drehplan fragmentiert den Film so das die kürzest mögliche Drehzeit unter Berücksichtigung aller speziellen Gegebenheiten kalkuliert werden kann. Da jede Minute Geld kostet ist diese Drehzeit immer (zu) knapp bemessen. Jedes Gewerk hängt an diesem präzisen Uhrwerk, was auch bedeutet, jede Minute die es irgendwo zulange dauert, muss zwingend an anderer Stelle wieder eingespart werden. Alles greift hier ineinander und selbst kleinste Fehler haben große Auswirkungen, was immerzu hochkonzentriertes professionelles Handeln bedeutet. Ganz anders als im Theater, hier ermöglicht die Improvisation, das Spiel immer eine Möglichkeit, falls ein Requisit fehlt, die Hose nicht passt o.ä. und es gibt den Faktor Zeit bis zur Premiere, die beim Dreh eine gänzlich andere Rolle spielt.
Der Dreh selbst gleicht deshalb von Szene zu Szene einer ständigen Premiere- immer 100 Prozent.
Danach beginnt im kleinen Kreis die meist sehr langwierige Postproduktion, welche Filmschnitt, Sounddesign, Color Grading und gegebenenfalls VFX (visuelle Effekte) umfasst.

Als Produzent ist man im Filmbereich komplett auf sich allein gestellt, es gibt keinerlei Struktur, die logistisch unterstützt bzw. entlastet. Das heißt einerseits mehr Arbeit, anderseits mehr Freiheit, denn für jeden Dreh erschafft man ein komplettes Produktionshaus nach seinen eigenen Vorstellungen mit dem jeweils passenden Team. Die Rahmung, die (bis auf Sonderformate) auch im freien Theater durch die Örtlichkeit mit den dann entsprechenden Hierarchien und Abläufen vorgegeben ist, entfällt.

Es gibt große ökonomische Unterschiede.
Filme zu produzieren ist produktionsseitig viel zeitaufwendiger, bürokratischer und auch kostenintensiver. Angestelltenverhältnisse, komplexe Rechtefragen und Verträge, aufwendigere Förderanträge und Abrechnungen, logistische Herausforderungen, Genehmigungen, hochwertiges technisches Equipment und entsprechend vielfältige Versicherungen, das gesamte Marketing etc.
Alles, was ein Produktionsort/Theater als Struktur zur Verfügung stellt, muss man selbst erschaffen.

Ein weiterer Unterschied ist die Auswertung.
Die freie Theaterproduktion wird im guten Fall als Koproduktion geplant und hat dann einen sicheren Platz in der nächsten Spielzeit aller Koproduzenten. Das ist im Vorfeld mit den jeweiligen räumlichen Adaptionen gut zu kalkulieren und gibt Sicherheit. Auch eine misslungene Produktion findet Ihren Platz und ruiniert nicht den Produzenten.
Beim Film gibt es diese Sicherheit im Grunde nicht, es sei denn man produziert im Auftrag eines Streaming Dienstes oder eines Fernsehsenders. Ist der Film fertig, bewirbt man sich zumeist kostenpflichtig weltweit auf Filmfestivals. Die weitere Auswertung obliegt einem Verleiher - so man ihn findet - und sieht danach den Ankauf des Films durch einen TV Sender vor, auch hier vorausgesetzt man findet überhaupt einen. Abschließend folgt die Online Auswertung. Der Auswertungsradius ist beim Film zwar viel größer, aber das schlägt sich nicht finanziell nieder. Wird ein Film zu einem Filmfestival eingeladen, erhält der Produzent nur dann Geld, wenn er dort einen Preis mit dem Film gewinnt.

Da Geld die Voraussetzung für das Freie Produzieren von Theater, Performance oder Film ist, ist man als Künstler und Produzent von Förderentscheidungen vollkommen abhängig. Auf kommunaler Ebene sind es teilweise die identischen Förderinstitutionen auf Bundesebene unterscheiden sie sich.
Unabhängig ob Theater/ Performance oder Film, das Wichtigste beim Produzieren ist für uns die künstlerische Freiheit. Wenn wir uns etwas als freie Kunstproduzenten wünschen, dann ist es, dass Kuratoren und Redakteure, Produktionshäuser und vor allem die Mitglieder der Fördergremien die Freiheit der Kunst gegen gesellschaftspolitische Vereinnahmung schützen, sich gegen Moralisierung und Pädagogisierung der Kunst wehren und auch dem Abseitigen, Schrägen und moralisch Ambivalenten, dem Unwägbaren und Unkalkulierbaren weiterhin Raum und vor allem auch Förderung geben.